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Weißkäse gegen Wodka – die Anfänge in Aurich

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Vor 50 Jahren zog unser verstorbener Senior Paul Rücker der Küstenbauernmilch an die Nordsee nach Aurich. Hier baute er die erste Käserei in der Gunstregion Ostfriesland und machte aus Kuhmilch Hirtenkäse für fremde Länder. Heute produzieren wir hier Hirtenkäse aus guter Küstenbauernmilch vor allem für Deutschland und Europa.

Milchsammelwagen erleichtern die Arbeit der Meierei

Wir schreiben den Sommer 1974. Günther Guillaume ist kurz zuvor als Spitzel der DDR enttarnt worden, Walther Scheel neuer Bundespräsident und Helmut Schmidt hat Willy Brandt als Kanzler abgelöst. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert. 

Und es gibt weiteren Anlass zum Feiern: Am 7. Juli wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft durch ein 2:1 gegen die Niederlande zum zweiten Mal Weltmeister. Im kleinen Ostfriesland wiederum kann sich der aus Schleswig-Holstein stammende Molkereimeister Paul Rücker freuen: Er hat zum 1. Juli die Molkerei Egels von Christian Köbke gekauft. Ein kleiner Betrieb, 25 Mitarbeiter, davon in etwa die Hälfte Tankwagenfahrer, zwei Mitarbeiter in der Verwaltung, der Milch aus dem Umland ausschließlich zu Butter verarbeitete – etwa 32 Millionen Kilogramm pro Jahr.

Immer der Küstenbauernmilch hinterher

Beginn der Geschichte der Molkerei Rücker

Über acht Jahrzehnte hatte Rückers Familienmolkerei sich in Schleswig-Holstein entwickelt, anfangs ab 1890 mit einer kleinen Meierei in Vadersdorf auf Fehmarn, später insbesondere mit der Zentral-Meierei in Oldenburg in Holstein, doch Inhaber Paul Rücker war von Ideen beseelt, wollte wachsen. 

Und hatte 1972 in dem Zuge zunächst eine Molkerei in Friesoythe im Nordkreis Cloppenburg übernommen. Im genossenschaftlich geprägten Nordwesten war eine Privatmolkerei etwas, das auf Skepsis stieß – und dazu führte, dass Paul Rücker seine Molkerei dort nur zwei Jahre später wieder abgekauft wurde: Mit dem Erlös kaufte er die Molkerei Egels, mit der er zuvor schon geschäftliche Verbindungen hatte. Und anders als rund um den Stammsitz in Oldenburg gab es in Ostfriesland viel mehr Grünland, viel mehr Milch, vielmehr Entwicklungsmöglichkeiten. Das erkannte Paul Rücker und griff zu.

Auch die Ostfriesen waren erst skeptisch. Hier hatte ebenfalls fast jedes größere Dorf eine eigene kleine oder mittlere Molkerei-Genossenschaft. „Am Anfang war es sehr schwierig hier Fuß zu fassen. Um es mal etwas abgemildert auszudrücken: Es wollten nicht alle mit mir zusammenarbeiten. Aber mit der Zeit konnte ich doch mehr und mehr Milchlieferanten gewinnen“, sagte der im Jahr 2012 verstorbene Paul Rücker in einem Interview zum 25-jährigen Bestehen.

Paul und Gustav warten auf die Milch für die Molkerei Rücker

Die erste große strategische Entscheidung von Paul Rücker, die dem Wachstumskurs in Aurich Schub verlieh, war der Bau eines Trocknungsturms im Jahr 1977, um auch Magermilchpulver vermarkten zu können. „Die Molkerei hatte ihr Potenzial nicht ausgeschöpft. Es wurde nur Butter produziert. Die dabei anfallende Magermilch wurde quasi als Abfallprodukt an die Bauern zurückgeliefert. Nachdem der zentrale Magermilchverarbeiter in der Region aber nicht mit mir zusammenarbeiten wollte, habe ich eben eine eigene Milchtrocknungsanlage gebaut“, sagte Paul Rücker. 

Nur: Dafür brauchte er auch wesentlich mehr Milch. Der beginnende Strukturwandel in der Landwirtschaft kam ihm zugute: Kleinere Molkereien in Ostfriesland gaben auf, so konnte die Molkerei in Aurich wachsen. Waren es 1974 noch 32 Millionen Kilogramm Milch, die pro Jahr verarbeitet wurden, wuchs die Menge bis 1999 fast auf das Zehnfache.

„Damals war alles noch ganz klein, familiär“

Eckhard Saathoff (58, links im Bild), heute Betriebsratsvorsitzender bei Rücker, stieg 1982 mit der Lehre zum Molkereifachmann ein und hat mit 42 Jahren zumindest einen Großteil des halben Jahrhunderts miterlebt. „Damals war alles wirklich noch ganz klein, familiär. Wir waren alle per Du, jeder kannte jeden. Es gab auch keinen eigenen Vertrieb, alles was wir hergestellt haben, ging in 25-Kilo-Gebinden an die Butter-Eier-Zentrale nach Oldenburg, die das für uns vermarktet hat.“ 

Zum Vergleich: Heute exportiert unsere Familienmolkerei Käsespezialitäten in rund 80 Länder weltweit. Statt 25 Mitarbeitern am Standort in Aurich sind es heute gut 420, die im Vier-Schicht-Betrieb Weißkäse, Butter, Milchpulver und Molkeprodukte herstellen.

Zumindest der Belegschaft war zu dem Zeitpunkt, Anfang der 1980er Jahre, nicht klar, welches deutliche Wachstum der Standort noch vor sich haben sollte: Rücker stellte ja bereits in Schleswig-Holstein große Mengen Hirtenkäse her, vor allem für den Iran. Da war es nur folgerichtig, in Aurich eine Käserei zu bauen.

50 Jahre Aurich

Heiko Freese (rechts im Bild), heute Leiter der Käserei 1 im Werk Aurich, in dem unter anderem Friesischer Hirtenkäse Der Cremige hergestellt wird, kam 1984 als 21-Jähriger zu Rücker. „Ein Kumpel von mir, der dort arbeitete, hat mir, während ich bei der Bundeswehr war, davon erzählt. Ich hatte in einer von einem bölkenden Patriarchen alten Schlags geführten Molkerei an der Küste gelernt. 

Und Paul Rücker mit seiner ,Geht nicht gibt’s nicht-Mentalität‘ wollte mich so schnell wie möglich. Und zwar schon vor Ende meiner eigentlichen Dienstzeit. Der Hauptmann hat geguckt wie ein Auto, als ich hingegangen bin und gesagt habe, dass ich gern vorzeitig ausscheiden möchte, um bei Rücker anzufangen.“ Unbefristeter Vertrag auf Lebenszeit, fast ein Lottogewinn in der Zeit damals, in der die Arbeitslosenquote in Ostfriesland um die 20 Prozent lag.

1985 gab es den ersten Computer – das war etwas völlig Neues

Und schon kurz nach seiner Ankunft habe Paul Rücker von Erweiterungsplänen erzählt. „Als dann aber plötzlich ein Trupp Maurer kam, um eine komplett neue Produktion neben der bisherigen hochzuziehen, haben wir schon geguckt. Auch wenn wir schon mitbekommen hatten von den Weißkäse-Erfolgen, die Rücker zunächst von Oldenburg aus hatte. Wir sind dann rübergefahren, haben uns das beibringen lassen. Und dann irgendwann kam Paul Rücker donnerstags und sagte: ,Kennt ihr noch Leute, die arbeiten können und wollen? Wir sind fertig, wir fangen Montag an.‘“

Eröffnung Rücker in Aurich

Die neue Käserei war damals im Jahr 1985 die modernste ihrer Art in Europa – und ist bis heute die einzige nennenswerte in Ostfriesland. Schon da band Paul Rücker auch seinen Sohn Klaus, den heutigen Molkerei-Chef, ein. „Es gab sogar einen Computer. Das war etwas völlig Neues für uns“, sagt Heiko Freese und fügt an: „Schon als Paul Rücker nach Ostfriesland kam, haben die Leute ihm zehn Jahre gegeben, bis er pleite ist. 

Als er dann auch noch anfing Feta aus Kuhmilch zu machen, sowas kannte man hier damals ja gar nicht, da haben sie gesagt: ,Jetzt ist er komplett verrückt geworden.‘ Wenn ich damals mit Landwirten gesprochen habe, haben die regelmäßig gesagt: ,Euer Chef ist völlig von Sinnen! Das wird nie was.‘“ Doch es wurde was. 

„Wir haben im Freundeskreis rumgefragt, um Leute zu uns zu holen, weshalb wir – obwohl wir viele neue Leute hatten, gerade, als es mit dem Hirtenkäse losging, eine richtig verschworene Gemeinschaft waren. Wir haben gerackert und gerackert, haben gespürt, was Druck ist – denn die Nachfrage war riesig. Es war eine tolle Zeit, wir haben richtig was gerissen“, sagt Heiko Freese. „Und es gab keinen Tag, wo ich aufgestanden und mit Angst zur Arbeit gekommen bin. Als meine Mutter mich damals gefragt hat, wie es mir im Job gefällt, habe ich gesagt: ,Mama, ich bin im Paradies! Kein Gebölke, kein Geschrei, viel Arbeit, aber die macht Spaß.‘“

Auch Eckhard Saathoff sagt: „Wir mussten ran, was das Zeug hielt. Und das war alles auch ein bisschen aufregend, denn es war ja die Zeit des Kalten Krieges. Und um unsere Ware in den Iran zu bringen, kamen extra ausgesuchte Fahrer von Sovtransavco, einer russischen Spedition.“ Heiko Freese erinnert sich: „Da gab es dann auch Tauschgeschäfte: Die Fahrer haben Weißkäse-Kanister bekommen – und wir haben im Gegenzug Wodka bekommen.“ Er lacht. 

Es folgten der Aufbau weiterer Tanks, vor allem aber noch einer weiteren Käserei, in der traditioneller Hirtenkäse hergestellt wurde. „Man hatte das Gefühl, hier wird permanent gebaut“, sagt Eckhard Saathoff. Und wieder kamen neue Leute. „Das war am Anfang auch seltsam, weil plötzlich ganz viele Leute da waren, die man gar nicht kannte. Das passiert natürlich, wenn du immer größer wirst, und wir sind wirklich schnell gewachsen, was ja positiv ist“, sagt Heiko Freese. „Und da muss man sagen: Der Zusammenhalt war immer ein Anliegen von Paul Rücker, bei allem Stress und aller Terminnot. Er hat oft gesagt: ,Der Zusammenhalt muss da sein, dann kann man Bäume ausreißen. Sonst wird es schwierig.‘“

Neben neuen Leuten kam aber auch eine neue Herausforderung: Das rasant laufende Geschäft mit dem Iran brach ein. Paul Rücker sann auf Ersatz, die Molkerei stellte stattdessen unter anderem Mozzarella her. Zeitgleich erschloss der wachsende Betrieb neue Geschäftsfelder, produzierte 1992 beispielsweise Hirtenkäse für das UNHCR, das UN-Flüchtlingskommissariat, wie Eckhard Saathoff sich erinnert. „Dass war schon eine besondere Zeit“, fügt Heiko Freese an. „Mich macht das stolz, dass wir diese Entwicklung geschafft haben und mitgemacht haben, wenn man sieht, woher kommen wir? Mit allen Höhen und Tiefen. Wichtig war: Man wurde immer fair behandelt.“

1994 wanderte die komplette Weißkäseproduktion der Molkerei nach Aurich, und der Standort wurde neuer Hauptsitz: Die Zentral-Meierei in Oldenburg wurde geschlossen, stattdessen erwarb die Familienmolkerei die Ostsee-Molkerei in Wismar. Dort setzt Rücker bis heute auf naturgereifte Käsespezialitäten wie Tilsiter, mit dem 1890 in Vadersdorf auf Fehmarn die Erfolgsgeschichte begann.

2008 hat Rücker wieder die modernste Käserei in Europa

1997 wurde in Aurich die Milchtrocknungsanlage durch eine ganz neue, nach modernsten Gesichtspunkten konzipierte Anlage mit einer Tagesleistung von 65 Tonnen ersetzt. Anfangs hatte diese nur knapp die Hälfte betragen und war dann schrittweise erweitert worden. 2001 zog Paul Rücker sich aus der aktiven Geschäftsführung zurück, übergab sie an seine Söhne Klaus und Thomas.

2008 dann begann eine weitere Ära, die den Boden für weiteres Wachstum bereitete: Die neue Käserei 2, wiederum zu dem Zeitpunkt die modernste in Europa wurde eröffnet. „Das war anfangs fast eine Firma in der Firma“, sagt Heiko Freese. „Und schon wieder sehr viele neue Kollegen, die man gar nicht kannte. Aber auch hier haben die Rückers sehr viel Aufwand getrieben, um den Zusammenhalt zu stärken und zusammenzuführen, was zusammengehört. Und das tun sie weiterhin, und das rechne ich ihnen hoch an.“ 

Insa und Klaus Rücker

Ab 2010 – in diesem Jahr übernahmen Klaus Rücker und seine Frau Insa auch die Anteile von Thomas Rücker – begann Rücker die Karte besonders hoher Qualität noch stärker nach außen zu spielen. Auch wenn die weite Welt nach wie vor von uns bedient wird, so hat das Unternehmen in den vergangenen 15 Jahren den Focus stärker auf die Heimatmärkte gelegt, in denen das politische System stabil ist. Verlässlichkeit ist ein hohes Gut in der heutigen Zeit. Auch die Verbraucher in Europa schätzen hochwertige Lebensmittel aus Rohstoffen mit Herkunftsgarantie.

So hat das Unternehmen seine Stärken ab 2012 mit einer eigenen Marke RÜCKER und Produkten wie Alter Schwede, Alt-Mecklenburger, Küsten-Urtyp aus Wismar und Grill- und Pfannenkäse und den Hirtenkäsevarianten unter dem Namen Friesischer Hirtenkäse für den deutschen Markt bewusst herausgestellt. „Auch da war viel Weitsicht dabei“, sagt Heiko Freese. „Auch Klaus Rücker ist, wie sein Vater, hinterher, dass alles sich gut weiterentwickelt, dass das Privatunternehmen in gutem Fahrwasser bleibt. Auch er schaut über den Tellerrand.“ 

Dazu passt: Im Jahr 2021 hat unsere Familienmolkerei zudem einen wichtigen Schritt in ein neues Feld gewagt: die Produktion veganer Lebensmittel. Seitdem werden in Aurich auch Salatwürfel, Pfannen-Taler und Mozzalina als pflanzliche Alternative zum Mozzarella hergestellt: aus Hanfsamen- und Kichererbsenproteinen und das Ganze seit diesem Sommer komplett in Bio-Qualität. Hiermit hat unsere Familienmolkerei auch ihren ersten Schritt ins Bio-Segment gewagt. Zur Weitsicht am Standort Aurich gehört der Bau eines neuen Verpackungszentrums, das im Sommer 2023 in Betrieb genommen worden ist.

Insa und Klaus Rücker

Überhaupt: „Wenn man zurückblickt auf die Anfänge, welch geringe Überlebenschancen unserer Molkerei eingeräumt wurden, und wie rasant und erfolgreich sie sich bei allen Herausforderungen entwickelt hat: Das ist schon beeindruckend“, sagt Heiko Freese. „Weiterhin bleibt die Entwicklung nicht stehen. Vor uns liegt eine spannende Zeit.“

 

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Insa Rücker

Ich bin Insa Rücker, verheiratet und Mutter von drei Kindern. Gemeinsam mit meinem Mann Klaus leite ich die Familienmolkerei Rücker.

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